Dienstag, 19. Oktober 2010

Die Performance

19.30: Ich stehe in den Atelierräumen des kanadischen Malers CF, bei dem der heutige Abend seinen Lauf nehmen wird.

20 Uhr und fast alle sind pünktlich da. Ich bin sehr aufgeregt und stelle die ersten Gäste untereinander vor.


Wir fangen mit Champagner an, der mit Holunderblütensirup und Goldblatt serviert wurde. Ich erkläre der Gruppe worum es an diesem Abend geht und rede über die Künstlerinnen, die mir am Herzen liegen, und denen dieser Abend gewidmet ist. Anhand des Champagners erkläre ich den Bezug zu Helen Chadwick, der dieser Aperitif gewidmet ist: Ihre bekannten „Pissflowers“ aus den frühen 90er Jahren ließen mich an den Akt der „Golden Shower“, das Urinieren aufeinander denken, welches wiederum Assoziationen zum Champagner in mir weckte. Die besagten Blüten aus der Skulpturenreihe wurden dekonstruiert und als Holunderblütensirup damit vermischt. Ich verteile abstrakte Papiertulpen in unterschiedlichen Farben, die dem einzelnen Gast seinen Platz zuweisen. Kurz darauf gehen wir in den zweiten Atelierraum, der heute als Esszimmer umgewandelt wurde. Eine lange Tafel mit weißem Tischtuch, den bunten Platzsets aus Karton, Gläsern, Kerzen, Tulpen und Silberbesteck ist schwach von Halogenleuchtern angestrahlt. Die Gäste nehmen Platz und dann kommt auch endlich das erste Amuse Bouche, welches ich Janine Antoni gewidmet habe. Es ist ein kleines Bonbon aus einer Schokoladenganache, die mit Olivenöl und einem Tomatenconfit gewürzt wurde und natürlich an ihre „Gnaw“-Serie angelehnt ist, bei der sie große Blöcke mit Schokolade und Fett mit ihren Zähnen bearbeitet hat. Dieses wurde eisgekühlt und dann mit einer Balsamico-Tomaten-Reduktion gefüllt. Schnell werden Vermutungen angestellt, was sich in den kleinen Bonbons befunden haben könnte. Manche haben Fleisch herausgeschmeckt, andere Cranberry und ein Dritter Sperma. Der Fakt, dass es keine schriftliche Menüfolge gibt, und ich auch keine Auflösung biete führt zu verhaltenem Gesprächsstoff. Kurz darauf, wir nippen mittlerweile an unserem Grauburgunder im Bocksbeutel, folgt das zweite Amuse Bouche in Anlehnung an Yayoi Kusamas allgegenwärtige Polka Dots. Es handelt sich hierbei um zwei kleine Geleekreise. Einmal ein geschichteter Kreis aus Rote Bete-Saft auf dem eine Schicht mit Blumenkohlwasser liegt und dann ein zweiter aus Karotte mit einer zweiten Schicht aus Orange.

Ich weiß nicht, ob es das Essen, der Wein, oder das Ablegen einer anfänglichen Scham sind, aber innerhalb weniger Minuten unterhalten sich alle miteinander. Innerlich aufatmend folgt die Vorspeise, die sich als Hommage an Kiki Smith darstellt: Ein Tatar von Jakobsmuschel mit Trüffelöl, einem grüne-Paprika-Krokant und Holunderbeeren-Schaum. Fast alle sind begeistert. Hierbei hatte ich keine direkte Arbeit von Smith vor Augen, sondern eher ein Gefühl, welches bei mir ausgelöst wird, wenn ich etwas von ihr betrachte. Meine Nervosität fällt von mir ab und ich konzentriere mich auf einzelne Gesprächsstücke, die bis an meinen Platz hinüberwehen. Von Hitler über Louboutin bis Berlinale Filmprogramm und Karriere zerstörende Filme wie „Peeping Tom“ werden erwähnt. Es wird erzählt, welche Freunde von Gästen auch Interesse an der Dinnerparty bekundet hatten und wie lange es gedauert hatte, sich für diesen Abend zurecht zu machen.

Es folgt ein Tempranillo, zu dem es ein Gericht für Orlan gibt, das aus einem kalten, marinierten Morchelsalat besteht. Dazu gesellen sich drei Baumkuchenwürfel, die mit Kumin und Koriander und Schwarzkümmelsamen gewürzt sind und auf Saucenspiegeln von Hagebutte und Pflaumenhaut sitzen. Der Gang ist sehr dekonstruiert, und einzelne Elemente aus der Vorspeisen- und der Dessertwelt vereinen sich zu einem ungewöhnlichen Hauptgang. Genau so, wie Orlan sich in verschiedenen Schönheitsoperationen verschiedenen Idealen annäherte. Wieder ein Erfolg. Manche lassen verlauten, dass dies das bisher beste Gericht war, andere stimmen dagegen und meinen, dass es die Jakobsmuscheln gewesen seien. Ich erkläre kurz wie, wann, wo und über welche Dauer hinweg ich Beeren und Früchte gesammelt habe und das dies auch der erste Gang ist, bei dem ich etwas alleine zubereitet habe, ohne das DC etwas abgeändert hatte.

Die „steife“ Tischsituation lockert sich etwas auf. Gäste wechseln ihre Plätze, fangen an zu rauchen, unterhalten sich im Flur. Ich setze mich kurz zu meinen Helfern in die Küche und lasse dann Porträts von mir knipsen, die in ein längeres Gespräch mit TG führen, der ich auf der letzt Jährigen Venedig Biennale kennen lernte und nun zum ersten Mal unter vier Augen spreche.

Zwischen Hauptgang für Orlan und Dessert ist eine bewusste sehr lange Pause, in der sich die Gäste anderen Genüssen hingeben können und dies auch ausnutzen. Als krönenden Abschluss bekommen wir eine Topinambur-Schokoladen-Ingwer-Vanillesuppe mit einem Blut-Brownie, den wir mit einem eisgekühlten Chablis essen. Dieses Gericht ist Marina Abramovic gewidmet, von deren „Balkan Baroque“ ich mich inspirieren ließ. Das Knochenschrubben ließ mich an Markknochen denken, die man traditionell als Klöße in einer Suppe als Vorspeise findet. Ich wollte aber eine süße Suppe kochen, die das Mark der Vanille als Ausgangspunkt nimmt und um eine Referenz zur salzigen Welt zu behalten außerdem noch mit Topinambur zubereitet wird. Letztendlich habe ich nach einer Besprechung mit meinem Koch noch ein weiteres Element zugefügt und Tierblut verwendet, um einen Brownie backen zu lassen, der als Kloß-Ersatz in der Suppe angerichtet sein würde.

Innerhalb der letzten drei Stunden haben meine Gäste sich durch sechs verschiedene Gänge und drei Sorten Wein getrunken und gegessen, sind von stillschweigender Erwartung zu konversationsschwingenden Gästen aufgestiegen.

Während die Gäste sich nach und nach verabschiedeten blieb ein kleiner Kern der Gruppe bis vier Uhr Früh bei Kerzenschein am Tisch sitzend. Bei einem sehr traditionellen Cocktail namens "Last Word" wurde der Abend Revue passieren lassen und als sehr gelungen eingestuft.


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