Sonntag, 30. Oktober 2011

Elvira Bach


Die Performance-Dinner-Tafel


Vor etwa 15 Jahren sah ich meine erste „Küchendiva“ von Elvira Bach: ein kleines Bild mit einer kartoffelschälenden Frau. Das Gemälde befand sich in einem wunderschönen dunkelblauen Rahmen, der mit kleinen Messern von Zwilling versehen war. Seitdem verfolge ich das Werk der Künstlerin in regelmäßigen Abständen sehr aufmerksam, bis ich mich wieder für eine gewisse Zeit an ihr satt gesehen habe.

Mit dem ersten Plakat für die Gießener Ausstellung im Oberhessischen Museum kehrte wieder einmal die Lust auf Bach zurück. Nachdem ich der Künstlerin bereits bei dem Rosa-Loy-Performance-Dinner in der Kunsthalle Gießen einen Gang gewidmet hatte, wollte ich nun einen ganzen Abend für sie kreieren. Nach kurzer Absprache mit dem Museumsleiter bekam ich grünes Licht und fing an, ein Konzept für den Abend zu entwickeln.



In der "Küche"

Im Gegensatz zur Bildhauerei, mit der ich meinen Bachelor bestritten habe, arbeite ich inzwischen nicht mehr mit Stein, oder Gips; vielmehr setzt sich meine künstlerische Arbeit nun schon seit über einem Jahr mit den unterschiedlichen Zubereitungsmöglichkeiten für Nahrungsmittel auseinander. Ich schnitze Gemüse, blanchiere es, püriere, dehydriere, streiche durch Siebe und bringe die Grundzutaten in einen neuen Zustand. Diese Kunstwerke aus Essen, das mit anderen Elementen auf einen Teller kommt, werden zelebrierend zur Schau gestellt und innerhalb weniger Minuten verzehrt. Was bleibt, ist die Dokumentation.

Schnell war mir für den Elvira-Bach-Abend klar, dass Kartoffeln, Erdbeeren, Kirschen und Radieschen eine prominente Rolle spielen würden.

Für den ersten Abend im Oberhessischen Museum begann ich bereits drei Tage vorher mit den Vorbereitungen. In einem für mich gemächlichen Tempo stand ich zwar immer den ganzen Tag in der Küche, aber es brach (anders als bei früheren Performance-Dinners) kein Stress aus. Nichtsdestotrotz kam der Samstag schneller als gedacht. Mit drei Helfern trug ich mehrere Bananenkisten voller Teller, Gläser, und vor allem Lebensmitteln ins Museum und richtete den Tisch her. Der Abend war voll ausgebucht: mit Wiederholungstätern, aber auch mir unbekannten Teilnehmern.

Hier ein paar Eindrücke des Performance-Dinners zu Ehren von Elvira Bach!

Amuse Bouche: Kartoffelchips mit Zartbitterschokolade, Anis und Fenchel


Vorspeise: Sauerkirschmousse mit knusprigem Serranoschinken



Zwischengang: Radieschen in Malzerde

Hauptgang: Hähnchenconfit mit Kartoffelpüree, eingelegten Quitten und Bohnensalat



Dessert: Hibiskusgelee mit Limoncello-Radieschen und Kirschsauce


Montag, 24. Oktober 2011

Tischgesellschaft


Ein kurze Begrüßung und ein Glas Prosecco, dann die einleitenden Worte zu Katharina Fritschs Installation „Tischgesellschaft“:

Hergestellt 1988, nach kurzem Ausstellungsstopp in Basel im Frankfurter MMK ansässig. Das Multiple besteht aus einer langen Tafel mit einer stilisierten rot-weißen Tischdecke und zwei Bänken, auf denen jeweils 16 identische männliche Körper sitzen. Diese Körper sind einem Freund der Künstlerin nachgebildet; sie bestehen aus Polyester und sind schwarz angemalt.

Die Ausstrahlung der Arbeit hat etwas Sinistres - im Gegensatz zum Titel „Tischgesellschaft“, bei dem man automatisch an ein leckeres Essen mit guten Freunden denkt, kommt hier keine heimelige Stimmung auf. Dies wollte ich mit einem „deutschen Abend my way“ ändern und nahm diese Arbeit als Grundidee für ein weiteres Performance-Dinner.



Die Gäste ahmen die "Tischgesellschaft" nach.


Das Amuse Bouche war ein gefülltes Ei mit Räucherlachs und hatte so einen gewissen Retro-Charakter, der aber durch eine Forellenkaviargarnitur aufgepeppt wurde.


Der erste Gang bestand aus einem weißen Bohnenpüree auf Ahornsirupreduktion mit einem Grüne-Bohnen-Mandel-Salat und geröstetem Knoblauch. Als feine Süße gab’s noch ein Stück Apfel, der in einem Weißwein-Zuckersirup pochiert worden war.

Den Gästen schmeckte es so gut, dass ich noch die letzten Reste des Sirups aus dem Topf kratzte und Löffelchen verteilte.



Als zweiten Gang servierte ich einen Salat aus Frühlingszwiebeln mit Aschemus, gerösteter Haselnusspaste und Joghurt. Dieser Gang spaltete die Meinungen. Manche mochten die Asche nur in sehr kleiner Dosis, andere schlabberten sie förmlich auf. Im Ganzen ein spannender Gang.


Der Hauptgang punktete wieder bei allen auf voller Linie: Langsam geschmorter Schweinebauch mit einem wunderbar deftigen Fond, dazu Miesmuscheln, Kürbispüree und Kohl mit Totentrompeten. Der erste Cholesterin-Schock setzte bei manchen sofort ein, als ich berichtete, wie viel Butter in dem Püree verarbeitet wurde.



Auch das Dessert war hochkalorisch, aber ein voller Genuss: Es gab Maronencreme mit Apfeleis, Reispapier mit Senfkörnern bestreut und einem Schokoladen-Kaffee-Extrakt.

Während der Nebel um den Kirchenplatz waberte, floss der Wein in Strömen; die Leute tranken, genossen und verstanden sich bestens. Es wurde viel gelacht und diskutiert - ein gelungener Abend!




Quittenbrot als Betthupferl.


Montag, 3. Oktober 2011

Es wird gegessen, was auf den Tisch kommt - Festlich Tafeln im Guerilla-Restaurant

Hier eine Abschrift aus der Gießener Allgemeinen vom 27. September 2011.

Es gibt leider keine Online-Version des Artikels.

Rolf Baltromejus ist in Gießen mittlerweile durch seine Performance-Dinner im Rathaus bekannt geworden. Die Idee, ein Fünf-Gänge-Menü zu entwerfen, dessen Gänge zeitge- nössischen deutschen Künstlerinnen gewidmet ist, setzt sich in seinem »Untergrund Restaurant« fort. Baltromejus lädt Liebhaber der Gourmetküche in seine private Wohnung ein und verköstigt sie nach allen Regeln der Kunst mit farbenfrohen Appetithappen. Nach dem Motto »Es wird gegessen, was auf den Tisch kommt« führte das Guerilla-Restaurant am Freitagabend acht kommunikationsbereite Menschen an einem liebevoll eingedeckten Tisch zusammen.

Es fühlt sich schon ein wenig sonderbar an, wenn man die Stufen zu einer fremden Woh- nung im obersten Stockwerk eines Wohnhauses in der Innenstadt erklimmt im Bewusst- sein, nicht zu wissen, mit wem man sogleich an einem Tisch sitzen und speisen wird. Nach einem Glas Prosecco läuft alles wie von alleine. Es klingelt an der Tür, die nächsten Gäste treten ein – und was für eine Überraschung, man kennt sich. Im Laufe des Abends entwickeln sich Gespräche in geselliger Runde, in der Menschen mit den unterschiedlichsten Berufen zusammengefunden haben.

Es wird viel gelacht und viel geredet, sodass Baltromejus immer wieder die schwungvolle Konversation unterbrechen muss, um erneut die Aufmerksamkeit auf den nächsten Gang zu legen. Denn begleitend zu den dargebotenen Köstlichkeiten kommentiert der Gourmet selbst seine Ideen zur Wahl der ungewöhnlichen Zutaten. »Die marinierte Schweineschwarte, verbrüdert mit Orangenschalen, Zimt und Fenchelsamen« wird frittiert, um mit einer Guacamole als Amuse Bouche den Gaumen runterzurutschen«, beschreibt der Koch sein erwähltes Hors d’œuvre. Angelehnt an Frida Kahlos Stilleben »Früchte der Erde, 1939« serviert der Künstler im ersten Gang Maissuppe mit Pimento-Creme und frischem Koriander. Die Köstlichkeiten in den darauffolgenden Gängen finden sich im Bild »Die Braut erschrickt vor dem offenen Leben, 1943« wieder.

Die Zutaten bekommt Baltromejus nicht immer im Supermarkt um die Ecke. Für die Habanero-Chilis, die zu den schärfsten Chilis überhaupt gehören, fährt der Künstler in die Markthallen nach Frankfurt, um dort stundenlang Zutaten zusammenzusuchen. Zum Ceviche vom Wolfsbarsch mit Kokosmilch und den scharfen Habanero-Chilis passt ein Riesling aus dem Rheingau.

Baltromejus kocht mit viel Leidenschaft. Inspiriert wurde der gebürtige Laubacher, der in London Bildhauerei studiert hat, durch Kerstin Rodgers, die einen »Supper Club« in London führt. Für das Hauptgericht, das einst das Hochzeitsmahl von Frida Kahlo stellte, werden verschiedene Chilisorten geschnippelt, mit Kochbananen, Rosinen und Pflaumen geköchelt, bevor sie durch ein Sieb gestrichen werden. Das Ergebnis, Mole Poblano zur marinierter Putenbrust, ist ein kolossales Geschmackserlebnis. »Alles was in der Mole ist, muss erst mal mit heißem Schmalz in Berührung kommen«, so der Kochkünstler. Zum Nachtisch hin wird es abenteuerlich. Denn mit den Worten »Macht euch keine Sorgen, es ist garantiert nichts hier drin, was man in einem Lebensmittelgeschäft kaufen kann« wird der letzte Gang serviert: Mangosorbet auf Puderbett bestehend aus getrocknetem Karamel. Der experimentierfreudige Koch, der ein treuer Anhänger der Molekularküche ist, wanderte hierfür durch mehrere Geschäfte und Apotheken, um die Zutaten für seine Nachspeise zu finden: Glucosesirup und Maltodextrin. Wer sich traut, seinen Weg in Baltromejus Guerilla-Küche zu finden, halte aufmerksam nach einer Einladung Ausschau.

Dagmar Titsch