Dienstag, 19. Oktober 2010

Präparation: Sammeln, Beobachten

Spätsommer. Das Obst an den Bäumen und den Sträuchern zieht die Äste mit ihren berstenden Früchten nach unten.

Holunderbeeren, fast schwarz, mit einem Hauch von lila und einem betörenden Duft nach alter Geranie. Himbeeren, blass pink bis genital-rot hängen träge an den verholzten Stämmen, von Gartenstreben hochgehalten. Bienen schwirren, sammeln Pollen, Pflaumen fallen bereits auf den Boden. Fliegen saugen den vergärenden Saft gierig auf und ich greife mit den Händen in das verzweigte Geäst und hole die prallen Früchte von den Zweigen, vorsichtig darauf bedacht mich nicht von den Wespen stechen zu lassen.

Der Schweiß perlt mir vom Haaransatz in den Nacken und saugt sich in mein T-Shirt.

Auf dem sonnengeschützten Balkon verarbeite ich die Früchte, entsteine, verlese, entstiele und präpariere sie für das Einkochen. Dies erfolgt am späten Abend, wenn bei geöffnetem Fenster draußen auf dem Rasen die Grillen zirpen und man sich vor den lästigen Schnaken schützen muss, die vom Teich im Garten gleich zur Küche weiterwandern und penetrant in den Ecken sirren, darauf bedacht mich in einem ungeachteten Moment zu stechen.

So entstehen Reihen an Reihen von neuen Gläsern und Flaschen, die in die Kellerregale wandeln, Beutel werden gefüllt, beschriftet und eingefroren, um zu einem späteren Zeitpunkt das fast frische Obst zu verarbeiten.

Spätherbst. Es gab bereits den ersten Frost und morgens, wenn man aus dem Fenster schaut, sieht man den Reif auf dem welk werdenden Gras. Die Bäume haben fast all ihre Blätter abgeworfen, die langsam verrotten. Zeit die Quitten von den Bäumen zu holen. Holzstiegen stehen an verschiedenen Orten im Garten aufgestellt und wir arbeiten schweigend. Erst fallen die Quitten in, von den Armen hängenden, Eimern, die wenn voll zu den Stiegen getragen werden. In etwa einer Stunde haben wir drei Stiegen gefüllt, die wir zu zweit in den Keller tragen. Nach einer Kaffeepause mache ich mich mit einer großen Plastiktragetasche und Gartenschere auf Richtung Wald. Die gewachste Jacke hält schön warm und ich stelle noch den Kragen auf. Kurz vor dem Waldgebiet liegen mehrere Nutzwiesen auf denen Hagebuttensträucher wachsen, die nun schon von weitem durch ihre kleinen tomatenroten Punkte leuchten. Ich laufe durch das Feld und mache mich daran Hagebutten abzuschneiden. Der Beutel hängt, wie schon vorher der Eimer, an meinem Arm. Aber nur mit einer Schlaufe, die andere hängt lose nach unten und erzeugt damit eine große Öffnung, so dass ich die Früchte nur aus meiner Hand fallen lassen muss. Gelegentlich hänge ich mit meinem Ärmel in dornigem Gestrüpp fest und schneide mich wieder frei, wenn ich merke, dass die Natur nicht so einfach nachgibt. Ich befreie sieben Sträucher von ihren Hagebutten, sofern ich denn daran komme. Meine Schuhe sind vom Dreck verkrustet und leicht feucht und ich eile wieder nach Hause, um einen weiteren aufwärmenden Kaffee zu trinken.

Das schöne an den Quitten ist, dass sie, kühl gelagert, monatelang nachreifen können; in den Stiegen aneinandergekuschelt, von einem Flaum überzogen und mit kross werdenden Blättern.

Die Hagebutten sind pflegebedürftiger. Sie wollen nach dem Pflücken spätestens in zwei Tagen verarbeiten werden, bevor sie erst weich und dann so schnell gammelig werden, dass man denkt es gehe nicht mit rechten Dingen zu. Ich lese noch einmal nach wie man Hagebuttenmark zubereitet. Es gibt zwei Varianten: einmal gesäubert mit den Samen verarbeiten, oder aber säubern, halbieren und entkernen. Dies scheint das Originalrezept zu sein.

Es ist abends, das Radio läuft mit säuselnder, beruhigender Musik im Hintergrund als ich mich mit Einweg-Latexhandschuhen bewaffnet an die Arbeit mache. Ein Berg von 1,2 kg liegt in dem Sieb und ich befürchte jetzt schon, dass das Pflücken das einfachste an dieser Aufgabe war. In den nächsten anderthalb Stunde „schnippel“ ich den Stielansatz und den getrockneten Blütenansatz und halbiere die Früchte um sie dann mit einem kleinen Küchenmesser auszupuhlen. In dieser Zeit schaffe ich 200 Gramm, habe einen verspannten Rücken, schlechte Laune und in kürzester Zeit zwei Gin & Tonic intus. Erst am nächsten Tag mache ich weiter und lerne, dass sich die Früchte, wenn geviertelt, viel besser von den Kernen (beziehungsweise korrekt Nüsschen) befreien lassen. Nach einer Stunde bekomme ich für eine weitere Hilfe und wir schaffen in dieser Zeit 400 Gramm. Daraufhin beschließe ich, dass ich nicht Masochist genug bin um weiter zu entkernen. Alles schmerzt, die Haut im Gesicht juckt, ich bin ganz hibbelig und verfluche den Tag, an dem ich beschlossen habe, diese Frucht zu sammeln. Die restlichen Früchte Viertel ich und schmeiße sie zu den entkernten. Diese Mischung brause ich unter fließendem Wasser ab, um noch ein paar Nüsschen zu lösen. Bevor ich mich ins Bett lege wiege ich noch einmal die Früchte und erziele 900 Gramm. Bereits 300 Gramm Abfall. Ich mische das Obst mit dem Saft einer Zitrone und 200 Gramm Gelierzucker und lasse dies über Nacht durchziehen.

Am nächsten Morgen gehe ich mit neuem Elan an die Sache: ich gieße 250 ml Wasser zum Obst und fange an zu pürieren. Mit Hilfe eines Mörsers streiche ich diese widerspenstigen Früchte durch ein Sieb, nachdem ich mir von einem Löffel innerhalb von 10 Minuten Blasen an die Finger geholt habe. Ich schwitze, fluche, die Hände schmerzen, es ist kein Ende in Sicht und noch nicht einmal Mittag.

Es bleiben 350 Gramm übrig und der Tag ist in den Abend übergegangen, bis ich nach einigen Pausen fertig bin! Ich lege mich erschöpft ins Bett. Und weil ich nicht schon genug genervt und angespannt bin, streiche ich dieses Püree am nächsten Morgen noch einmal durch ein Haarsieb, um weitere Härchen zu entfernen. Diese Mischung koche ich ein und fülle sie in ein (EIN!) sterilisiertes Glas.

Kurz darauf bekomme ich fast einen Schreikrampf, als ich auf dem Wochenmarkt einkaufen gehe und bei einem Feinkoststand Hagebuttenmark in 500 Gramm Töpfen für acht Euro angeboten bekomme.

Keine drei Tage später mache ich mich mit ähnlicher Ausrüstung wie zum Hagebuttenpflücken erneut auf. Diesmal Richtung Abenteuerspielplatz. Denn direkt neben dem Spielplatz befindet sich eine uralte Buche, die von mir und Generationen vieler anderer Kinder vor- und nach mir zum Klettern und hineinritzen von Initialen benutzt wurde. Die Sonne scheint und am frühen Nachmittag könnte man fast denken, es sei Frühling. Doch es geht ein auch leichter Wind, der einem verrät, dass dieses Wetter sehr schnell umschlagen kann. Ich bin schon spät dran zum Bucheckern pflücken, denn als ich die Äste nach den Früchten in ihren Kapseln absuche, sehe ich nur vereinzelt welche hängen. Die meisten Hülsen liegen bereits am Boden – leer. Der Wind streicht durch die Zweige und ich recke mich, um an Äste heranzukommen, an denen ich noch Ausbeute entdecken kann. Die kühle Luft kitzelt meinen nackten Bauch und ich stecke mir mehrfach wieder das Hemd in die Hose, bevor es sich beim Recken wieder verselbstständigt.

Meine Ausbeute beträgt magere 225 Gramm Bucheckern in den Fruchtbechern. Mit Radio im Hintergrund breche ich die Früchte auf (Resultat: 45 Gramm) und entferne die harte Schale einer jeden Frucht (Resultat: 25 Gramm).

Diese auf ein Minimum reduzierte Masse lege ich in eine offenfeste Keramikschale, und röste sie unter mehrmaligem Wenden im Ofen. Erstaunlicherweise entdecke ich dabei wie eine weitere Haut sichtbar wird, die ich nach dem Röstvorgang vorsichtig in einem Sieb abreibe. Vakuumverpackt verstaue ich die Früchte wie einen Schatz in einer Schatulle.

Erstaunlicherweise scheine ich doch große Freude an diesen teils frustrierenden Aufgaben zu finden, denn ich schaffe es noch ein Eimerchen Pflaumen zu pflücken, um „Plumsauce“ zu kochen. Nach meiner Lektüre von Heston Blumenthals In Search of Total Perfection gebe ich mich natürlich auch nicht damit zufrieden nur „Plumsauce“ zu kochen. Es soll schon etwas Besonderes werden. Und zwar nur aus Pflaumenhaut zubereitet. Erstaunlicherweise geht das Häuten der Früchte so schnell, dass ich mir schon Sorgen mache, ob das Rezept jetzt nicht viel zu simpel ist. In weniger als einer Stunden habe ich ein Glas eingekochte „Plumsauce“ neben den anderen eingemachten Dingen stehen.

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