Am vergangenen Freitag war es wieder soweit: Es gab ein zweites
Performance-Dinner in der Weinrebe am Lindenplatz. Immer noch „strangely
fascinated“ von der amerikanischen Küche mit ihren kitschigen und trashigen
Aspekten und der Idee, billige Massenware/Fertiggerichte von Grund auf zu
verändern und zu etwas köstlichem Selbstgemachtem zu verwandeln, entschied ich
mich für Andy Warhol als Leitmotiv für den Abend!
Anfangs befasste ich mich vor allem mit Andy Warhols und Suzie Frankfurts
1959 erschienenem „Kochbuch“ Wild
Raspberries von Suzie Frankfurt und Andy Warhol, dessen Titel sich von
Bergmans Wilde Erdbeeren ableitete. Frankfurt
hatte die Rezepte „erfunden“, Warhol die Illustrationen gezeichne (die er später
von den Nachbarjungs ausmalen ließ), und seine Mutter hatte die Rezepte (inkl.
Fehlern) abgeschrieben.
Nach weiterer Recherche fand ich noch die Videosequenz Andy Warhol Eating a Burger aus dem dänischen Episodenfilm 66 scener fra America von Jørgen Leth
aus dem Jahr 1982. Und als wunderbares Extra bot Michael Marks von der Galerie
am Dom mir an, eine echte Warhol-Turtle für
den Abend auszuleihen.
Beginn des Dinners war um 20 Uhr. Bei noch schön warmen Temperaturen und im
Schein der langsam untergehenden Sonne starteten wir mit einem knallroten
Frizzante, einem ebenso knallroten Ketchup-Macaroon und der knallverrückten Videosequenz.
Andy Warhol Eating a Burger, 1982/Ketchup
Macaroon
Rosa Frizzante Valentin, Franken, Winzer Sommerach, Deutschland
Hard Boiled Eggs, 1959/Egg Burger - Wachtel trifft Ibérico
2011 Sauvignon, Südtirol DOC, Alois Lageder, Italien
Als ersten Gang gab es eine
Verbindung zwischen dem Burger-Video und dem Kochbuch: Letzteres enthält (auf
Vorschlag eines gewissen Steve Elliot) eine genaue Anweisung, wie man Eier
hartkocht.
Turtle, 1985/Mock Turtle Soup mit Kalbsklößchen & Sago
2010 Spätburgunder QbA trocken, Rheingau, Joachim Flick, Deutschland
Der zweite Gang
befasste sich mit dem Turtle-Print
und bestand aus einer Fleischbrühe, die ich aus Huhn, Rind, Schwein und Kalb
herstellte. Dazu gab es kleine Kalbsklößchen, Salicornes und in Marmite
gequollene Sagoperlen.
Die Mock Turtle Soup war eine Erfindung Ende
des 19. Jahrhunderts für diejenigen, die sich die echte grüne Schildkrötensuppe nicht leisten
konnten. Idee war, die Konsistenz der echten Suppe, so gut es ging, zu
replizieren. Dies wurde damals vor allem mit Hirn und Innereien angestellt.
An dieser Stelle auch
ein kleiner literarischer Querverweis: Lewis Carroll erfand für Alice im Wunderland den Charakter der
Mock Turtle (deutsch: die Falsche Suppenschildkröte), die einen
Schildkrötenkörper mit einem Kalbskopf hatte.
Lustigerweise hatte Campbell’s Soup eine zeitlang eine Mock Turtle Soup in ihrem Programm. Die
amerikanische Mock Turtle Soup
bestand hauptsächlich aus magerem Rindfleisch, Ketchup, gekochten Eiern und
Zitrone. Diese Zutaten finden sich bei mir wiederum in den Kalbsklößchen
wieder.
Waterzoie for Cecil Beaton, 1959/Lachsforellentatar mit
Tomatenwasser
2011 Rosé Héritage, Côtes de Provence AOP, Estandon Vignerons, Frankreich
Der Zwischengang war
wieder direkt aus dem Kochbuch übernommen. Das „Rezept“ verlangt, gesäuberte
Fische (egal welche) mit Wasser zu bedecken und köcheln zu lassen. Gewürzt wird
mit Pfeffer, den man doch bitte unbedingt aus New York mitbringen solle.
Meine Version bestand
aus einem Tatar, mit Chili und Frühlingszwiebel gewürzt und mit Limettensaft
„gekocht“, dazu ein Tomatenwasser aus durch ein Tuch abgetropftem gewürzten
Tomatenpüree.
Piglet,
1959/Schweinelende
mit Apfel, Spinat & Senf-Vinaigrette
2010 Muschelkalk Riesling Kabinett feinherb, Pfalz, Weingut Meßmer,
Deutschland
Der Hauptgang stammt ebenfalls aus Wild Raspberries. In seiner
ursprünglichen Version erfordert er das Abholen eines Spanferkels mit einem
Cadillac und das Dekorieren mit Holzäpfeln.
Für die Gäste des Performance-Dinners gab es Schweinelende
mit in Weißwein pochierten Apfelspalten sowie einem Spinatgemüse mit Karotte,
Stangensellerie und Knoblauch, dazu eine Senf-Vinaigrette und eine Bratensauce
zum Fleisch.
Campbells
Soup II, 1969/Cheddar, Karottensalat & gelbes Rosinenpüree
2010 Torre d’Orti, Valpolicella Ripasso DOC, Cavalchina, Italien
Abgesehen von dem Campbell’s Tomato Soup-Dosen, die ich als Vasen für die Blumendeko
des Abends auf den Tischen verteilt hatte, gab es keinerlei Referenz zu dieser
cremigen Suppe, die sicherlich viele erwartet hätten.
Der schwierigste Gang war der vorletzte: Was
verband Andy Warhol mit Käse? Zum Glück gibt es Google, und ich fand bald die
mir bis dahin unbekannten Prints von Suppendosen mit Cheddar Cheese Soup.
Schlussendlich gab es einen geraspelten
Karottensalat, angemacht mit eingekochtem Karottensaft, Nelke, Koriander und
viel Pfeffer, dazu einen alten Cheddar und goldenes Rosinenpüree.
Greengages
a la Warhol, 1959/Renekloden-Jelly, Haselnuss-Crunch & Joghurtsahne
5 Years Old Boal Reserva Madeira, Barbeito, Portugal
Als Dessert kam ich auf
meine Lieblingsillustration im ganzen Buch zurück. den Greengages. Mit viel Glück und nach dem Abklappern sämtlicher
Obststände und Gemüseläden in und um Gießen fand ich die schwer aufzutreibenden
Renekloden bei meinem türkischen Obsthändler. Der Haselnuss-Crunch steuerte
eine schöne nussig-geröstete Note bei, die ich mit Nutella und zerstoßenem
Karamell verfeinerte und mit Maldonsalz würzte. Dazu geschlagene Sahne mit
griechischem Joghurt.
Bevor wir die Gäste
vollgegessen und -getrunken in die Nacht entließen, gab es noch ein
Betthupferl: eine Himbeer-Ganache-Praline aus frischen Früchten, die in Cassispulver
gewälzt war. Die Referenz stammte ebenfalls aus Wild Raspberries und heißt dort Chocolate
Balls à la Chambord.
Wer die passenden
Bilder und Illustrationen von Warhol bzw. der Mock Turtle bei Alice in Wonderland
sehen möchte, kann diese ganz einfach über Google finden.
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