Sonntag, 20. November 2011

Küchendiven und messerscharfe Kirschen

http://www.giessener-allgemeine.de/Home/Stadt/Stadtkultur/Artikel,-Performance-Dinner-zur-Elvira-Bach-Ausstellung-_arid,300969_regid,1_puid,1_pageid,266.html

Montag, 7. November 2011

Katharina Fritsch, zum Zweiten

Die Tage scheinen golden, aber gegen 17 Uhr verdüstert sich der Himmel. Es wird windig und der Abend bricht innerhalb weniger Minuten herein.

Es ist der zweite Abend des Performance-Dinners zu Katharina Fritschs Installation „Tischgesellschaft“.

Die Gäste sind dieses Mal fast ausschließlich bekannte Gesichter - sogenannte Wiederholungstäter.

Nach einem kurzen Aufenthalt auf dem Balkon mit den ersten Gästen kommt auch das dritte Ehepaar. Mit einem Glas Prosecco in der Hand erläutere ich die „Tischgesellschaft“. Für mich ist diese Arbeit Fritschs typisch deutsch, was mich dazu inspirierte, eine Art deutschen Abend zu entwickeln. Hierbei ließ ich aber Altbekanntes wie Sauerkraut und Rippchen außen vor. Wichtig war mir, das Menü mit Erinnerungen an Gerichte aus meiner Kindheit zu spicken, diese aber so zu modifizieren, dass das Ergebnis feiner wurde und sich vor allem auch optisch mit meinem Kunstempfinden verband.

Anders als ein traditioneller Bildhauer arbeite ich nicht mit Hammer und Meißel, sondern zerkleinere, trockne, rehydriere, püriere, streiche durch Siebe und richte die einzelnen Komponenten dann auf Tellern an. Diese kleinen Kunstwerke sind von kurzer Dauer, denn innerhalb von fünf bis zehn Minuten ist der Teller leer gegessen. Was bleibt, sind die Fotos, die man teilweise hier findet!



Warten auf die Gäste


Die Performance-Dinner-Tafel


Vier von sechs Gästen


Die "Tischgesellschaft" in Kopie


Das Amuse Bouche




Quittenbrot als Betthupferl

Jeff Koons: Baroque Egg with Bow


Picture credit: http://www.blogcdn.com/www.luxist.com/media/2009/05/jeff-2ch.jpg

Baroque Egg with Bow (Turquoise/Magenta)

1994 - 2008, hochverchromter rostfreier Stahl mit transparentem Farbüberzug, 212,1 x 196,9 x 152,4 cm³, Collection Margaret und Daniel Loeb

Auf den Besuch in der Nationalgalerie habe ich mich gefreut, denn ich mag die Skulpturen von Koons. Sie erfreuen mich. Auch bei diesem Besuch fand ich die Arbeiten sehr spannend und habe mir die einzelnen Werke ausführlich angeschaut. Vor allem die eiförmigen Skulpturen haben es mir angetan.

Doch kaum war ich aus der Galerieatmosphäre ausgetreten, hinterließ die Ausstellung eine Leere in mir. Mir war nicht bewusst, was die Arbeiten zu bedeuten hatten. Das einzige, woran ich denken konnte, war Schokolade. Schokolade in einer tollen Verpackung. Schokolade, die genauso gut schmecken würde, wie die Verpackung ausschaut.

Ich habe einen Auftrag; denke an Ganache.

An zartbittere Schokolade, die mit geschmeidiger Sahne zu dieser wollüstigen Creme aufgeschlagen wird. Noch etwas Likör, um dem Ganzen einen kleinen Kick zu verpassen und die leicht bittere Note eingemachter Kirschen.

Jetzt weiß ich schon, dass ich etwas ganz Delikates bald auf der Zunge zergehen lassen kann, denn die Kombination scheint perfekt

Die Sahne ist üppig, die Ganache also mächtig, aber delikat zugleich; der Likör besitzt die süße Säure eines gut gebrannten Schnapses. Nicht zu süß, mit hoher Prozentzahl, so dass er es mit der Schokolade aufnehmen kann. Die Kirschen von Griottines bersten vor Geschmack, der eine perfekte Gegenbalance zur Sahne bildet. Die Schokolade mit leichter Kirschnote, so wie Amedei's Toscana mit 66 % Kakaoanteil, fügt sich in die Reihe der anderen Zutaten.

Kalt gestellt wird die Ganache fast so hart wie gekühlte Butter; ich steche walnussgroße Stücke ab und forme sie schnell zu Pralinen. Zwischendurch muss ich die Hände unter eiskaltem Wasser abkühlen, bis es weh tut. Hier geht es um Schnelligkeit und Präzision. Auf Backpapier gelegt lasse ich die Pralinen nochmals im Kühlschrank anziehen. Währendessen temperiere ich mehr Schokolade in einer baine-marie. Hier habe ich Zeit, langsam muss es gehen, bei kleiner Hitze, das Wasser darf den Boden der Schüssel, in der die Schokolade ruht, nicht berühren. Gewünscht ist das Aroma von langsam freigesetzten Nuancen, ein hoher Glanz und dieser berühmt-berüchtigte mouth feel.

Daraufhin forme ich die Pralinen nochmals zu perfekten Kugeln, tunke sie mit Pralinenbesteck in die warme Schokolade, tropfte sie ab und lege sie auf Backpapier zum Anziehen. Reihen über Reihen von makellosen Schokolade-Bomben werden so produziert. Noch bevor die Schokolade ganz angezogen ist, bestreue ich sie leicht mit einer Mischung aus Puderzucker und im Mörser zerstoßenen roten Beeren.

Ein Gefühl des Stolzes stellt sich bei mir ein und ich mache eine verdiente Pause.

Ich denke an die Verpackung.

Die perfekten Pralinen wollen eine Verpackung, die noch einmal widerspiegelt, wie viel Arbeit, Gefühl und Geschmack in ihnen steckt. Das ovale Gefäß habe ich bereits. Ich habe es in Auftrag gegeben, nur für diesen Zweck; in liebevoller Handarbeit wurde es hergestellt, während ich mit Argusaugen darauf achtete, dass auch kein einziger Makel hineingelangte. Ich lege etwas Seidenpapier in die zwei Schalen, die nun vor mir liegen, und mit behandschuhten Fingern gebe ich die Pralinés hinein. Dann noch etwas Seidenpapier zum Schutz darauf, und ich verschließe das eiförmige Gefäß.

Zur Dekoration habe ich etwas türkisfarbene Folie, die einen wunderbaren crinkle-Effekt bekommt, wenn man versucht, sie um das Ei zu drapieren. Ich glätte manche Flächen, bin aber vorsichtig darauf bedacht, das kleine Furchen beibehalten bleiben. Zum Schluss binde ich eine magentafarbene Schleife darum und betrachte mein Werk.

Noch an diesem Tag sollen alle Pralinen gegessen werden und ich lasse es mir nicht nehmen, dieses wunderbare Geschenk selbst zu überbringen.

Am nächsten Tag bekomme ich Nachricht, wie exquisit diese kleinen Kugeln doch waren, wie aufreizend die Verpackung, wie sie erst hin und her gedreht und dann mit einer kindlichen Freude aufgerissen wurde, um schnell das erste Praliné in den Mund zu stecken. Gierig wurde gesaugt und gelutscht und - vor lauter Verzweiflung und Angst, nicht alle Aromen zu schmecken - auch gekaut, um diese noch schneller aus den Schokoladeschichten herauszusaugen. Nur wenige Sekunden ließ man die zweite Praline auf der Zunge zergehen. Diesmal mit der aristokratischen Würde, die man von ihr immer erwartet. Ja, es hat nur wenige Stunden gedauert, bis die süße Versuchung ganz aufgelutscht war.